#2 Bratwurst | Restaurant Mastan
Warum ein richtiger Franzose kein Steak Frites serviert und wo es in Berlin die besten Würste für Eure Grillparty gibt
Liebe Freunde!
Diese Woche müssen wir ganz schön was einstecken. Erst ein Artikel in der New York Times, der den Themenkomplex Deutsche Effizienz in das Reich der Mythen verbannt und Deutschland wegen kaputter Infrastruktur, fehlender Wifi-Connection und, na klar, der Deutschen Bahn zu einem riesigen Industrie- und Technikmuseum herabstuft.1
Dann noch das Video, in dem ein Reporter der Daily Mail einem englischen Fußballfan mit nacktem Oberkörper Currywurst probieren lässt. Das Urteil: „Einfach schrecklich!”
Zu Recht! Ich habe nie verstanden, warum man die Currywurst zum Signature Dish der deutschen Hauptstadt gemacht hat und stolz darauf ist. Eigentlich ist Currywurst nichts als Discounter-Bratwurst, die man in einer Fettwanne frittiert und anschließend mit Zuckersoße übergießt.
Das passt zur deutschen Obsession von Mittelmäßigkeit. Nirgendwo sind Lebensmittel im Verhältnis zum Einkommen so billig, wie bei uns. Nicht VW und Daimler, sondern Aldi, Lidl, Edeka und Rewe haben die eigentliche Macht im Land. Edel geht wirklich anders. Wo sind die Visionen? Wo sind die groben Bratwürste?
Das Restaurant
Nach diesem Downer was zum Aufrichten: In Frankreich ernährt man sich auch sehr schlecht. Zwar gibt’s dort die besten Restaurants der Welt, aber nirgendwo in Europa gibt es mehr McDonalds-Restaurants als in Frankreich. Fertigprodukte sind besonders mies und bei der Systemgastronomie gilt das Land als Markt mit dem größten Wachstumspotenzial.2
Immer mehr Restaurants außerhalb der Städte machen dicht. Als ich kürzlich in der Charente essen gehen wollte, sagte mir ein Freund, der dort lebt: „Das kannst Du vergessen, hier gibt es kein anständiges Restaurant mehr.” Und in Aquitanien war ich an einem Sonntag irgendwo in einem Café de la Paix. Es gab Kalbsbries mit Champignons aus der Dose in einer Tütensoße.
Bezahlbare Spitzenküche
Wie gut, dass es Städte wie Lyon, Bordeaux und Marseille gibt, wo man unglaublich gut essen kann. Marseille ist ja gerade DAS Reiseziel für junge Berliner. Côte d’Azur, nur urban und ein bisschen gefährlich. Von dort kommt auch Yann Mastantuono. Der 40-Jährige mit der großen Brille ist Inhaber und Koch des Mastan in Kreuzberg.
Gearbeitet hat er für einen der besten Köche der Welt. Dann hatte er keine Lust mehr und wollte sich etwas eigenes aufbauen. Während Corona treffen er und seine Lebensgefährtin Dorothée die Entscheidung, es einfach in Berlin mit einem eigenen Laden zu versuchen. Seit einem Jahr zeigt Yann in der Gneisenaustraße seinen Gästen, wie französische Küche in richtig gut geht: traditionell, handwerklich aufwändig, aber immer bezahlbar.
Sowas hat Berlin nötig, denn ein argentinisches Steak, labberigen Salat, Pommes Frites und Sauce Béarnaise haben nicht viel mit französischer Küche zu tun. Für mich ist das Mastan auch deshalb zu einem Lieblingsrestaurant aufgestiegen.
Beliebt bei echten Franzosen!
Als ich im September das erste Mal dort war, war ich positiv überrascht, weil der Laden nichts mit dem neuen Berlin zu tun hatte: Weiße Tischdecken, echte Franzosen mit kleinen Hunden und Nachbarn aus dem Viertel.
Wegen eines Gerichts komme ich immer wieder: Ein mit einer Farce gefülltes Huhn mit frischen Pfifferlingen in einer Rahmsoße (siehe Foto). Ja, man könnte ein Huhn einfach in den Ofen schieben oder, wie die Deutschen, nur die trockene Brust ohne Haut essen. Man kann sich aber auch die Mühe machen, das Huhn zu entbeinen, um zumindest aus den Knochen eine Soße zu kochen. So wie im Mastan zubereitet, braucht es keine weiteren Stärke-Beilagen, wie Kartoffeln oder Pommes. Das Huhn und die Pilze reichen zum großen Glück vollkommen aus.
Richtig gut schmecken auch die anderen Gerichte: Es gibt immer selbstgemachte Terrine oder Pastete zur Vorspeise, unglaublich gute baskische Wurst und fast nie Austern. Eine einfache aber edle südfranzösische Vorspeise sollte man bestellen, wenn es sie gibt: Miesmuscheln mit einer Petersiliensoße und Butterbröseln überbacken. Mhhmmm, Butterbrösel.
Le gras c'est la vie
Und da Yann kein Spießer ist und Le gras c'est la vie („ Fett ist halt the real thing”, wie seine Frau sagt) für ihn ein Lebensmotto ist, gibt es nur lebensbejahende Gerichte. Caillette aus der Ardèche, zum Beispiel. Das sind Frikadellen mit viel Leber und Spinat, die vor dem Braten in ein Schweinenetz eingeschlagen werden (siehe Foto). Dann gibt es eine richtig dunkle und intensive Bouillabaisse, wie man sie nur in Marseille bekommt.
Verschiedene Fleisch- und frische Fischgerichte gibt es immer. Ein Steak nie. Aber auch tolle vegetarische Gerichte habe ich schon gegessen. Zum Beispiel einen himmlischen Vol-au-vent. Eine mit einem Ragout aus Gemüse, Kartoffeln und Morcheln gefüllte selbstgemachte Plätterteigpastete. Die nichts mit der Königinnenpastete aus dem niedersächsischen Landgasthof zu tun hat.
Den Nachtisch sollte man nicht weglassen: Neben Käse gibt es traditionelle französische Desserts. Crème brûlée mit krachendem Pistazienkaramell, warme Clafoutis mit saisonalem Obst direkt aus dem Ofen, eine wunderbare frische Charlotte oder, wie diese Woche, einfach Erdbeeren mit Crème Chantilly.
Supergünstige Weine!
Das wichtigste: Das Mastan hat wohl die beste kleine Weinkarte der Hauptstadt. Es gibt eine große Auswahl an Gamays aus dem Beaujolais, einen sehr eleganten St. Joseph aber auch wirklich rare Schätze, wie einen Grange des Pères aus dem Languedoc (210 Euro), den man auf kaum einer Weinkarte findet und der im Handel mittlerweile ein vielfaches kostet.
Wer wie ich meistens nicht so viel ausgeben möchte, der bestellt einfach eine Flasche Wein zwischen 30 und 40 Euro und ist sehr happy damit. Zum Beispiel den Syrah Nobis von l’Ecu von der Loire (32 Euro) oder den einfachen Côtes du Rhône von St. Cosme (34 Euro).
Beliefert wird Mastan unter anderem von Passion Vin in der Köpenicker Straße. Wer - Achtung: typisch deutsch! - die Preise vergleicht, wird feststellen, dass die Marge, die Mastan aufschlägt, fairer ist, als in den meisten Berliner Restaurants. Und allein das ist doch ein Grund dorthin zu gehen, oder?
Mastan, Gneisenaustr. 67, 10961 Berlin, geöffnet Dienstag bis Samstag 18 bis 22 Uhr.
Das Produkt
Nochmal Trost: Deutschland ist immer noch das Land der Ideen. Ulf von der Burg ist so ein Hidden Champion. Der Name ist nicht sein richtiger und er lebt, ganz grob gesagt, zwischen Berlin und der ehemaligen Zonengrenze Helmstedt und macht Bratwürste (siehe Foto).
Wie das mit Künstlern nun mal so ist, haben gerade die ihre exzentrischen Schattenseiten. Er sei alkoholkrank, mindestens auch Psychopath, sagen die Leute in der Gegend. Von Kontrollzwang und häuslicher Gewalt ist die Rede: „Ulf ist ein Schwein, aber seine Wurst ist richtig gut.”
Zu DDR-Zeiten soll der Metzger angeblich für die Stasi in einem Zuchthaus gearbeitet haben. Ob das stimmt? Bekannt ist nur, nach der Wende schulte er zum Metzger um. Wochentags stehen die Leute vor allem für seine Schmorwurst (also die Bratwurst) Schlange.
Die Schmorwurst ist kurz, dick und beim Grillen platzt gerne mal der Darm. Einziges Gewürz sind gelbe Senfkörner. Trotzdem schmeckt sie einfach genial. Eigentlich ist nur Hausschwein drin, besser schmeckt sie mit Wildschwein. Das darf Ulf aber nicht verarbeiten. Macht er aber gelegentlich nach Dienstschluss trotzdem heimlich.
Für alle, die nicht so ein Original bei der Hand haben, gibt es auch in Berlin ein paar sehr gute Bratwürste. Und jetzt im Sommer braucht man ja wieder viele Würste. Auch schon, weil man nie weiß, was bei typisch deutschen Grillparties so für Grillgut vorgehalten wird. Wer auf der sicheren Seite sein will, bringt eben seine eigenen Würstchen mit.
Für mich gibt es dafür drei Adressen:
Metzgerei Bünger am Ende des Ku’damms in der Westfälischen Straße. Dass dieser Laden sich „Fleischsommelier” nennt, muss man ignorieren. Bei einem der besten Metzger Berlins, gibt es kleine, rohe Bratwürstchen, die so fein und unaufdringlich schmecken, wie Kalbsbratwürste. Besonders gut: Alpenkräuter (Kilopreis 22 Euro). Es gibt auch kuriose Sorten, wie die Balinesische Hochzeitsbratwurst („mit einer Prise Fernweh”). Aber die muss man nicht bestellen. Gibt’ auch bei: der Fleischhandlung in Berlin-Mitte.
Sausage Man Never Sleeps in der Markthalle 9 in Kreuzberg. Simon Ellery, ein aus Neuseeland eingewanderter Metzger, macht alles außer deutsche Würstchen. Weil er eine Senfallergie hat, wie er sagt. Gut sind die Chipolata-Würste mit Thymian und Salbei (6 Stk. 10 Euro). Oder die geräucherte, scharfe Andouille im Ring (8 Euro). Tipp: Hier gibt’s den besten Bacon der Stadt.
Metzgerei Haroun in der Prinzenstraße in Wedding. Beim franko-algerischen Fleischer Youcef Haroun gibt es wohl die beste Merguez der Stadt. (Kilopreis 14,99 Euro.) Unglaublich gut! Der Inhaber hat einen grauen Scheitel, spricht Deutsch, Französisch, Algerisch und Arabisch, trägt immer ein kariertes Oberhemd unter seinem blütenweißen Kittel. Berühmt ist Haroun für seine ausgelösten Hähnchenkeulen mit Kräutern. Tipp von Yann Mastantuono (Mastan): Tabouleh und Couscous passen nicht zur Merguez! Merguez isst man in Marseille eigentlich nur heiß in einem krossen Baguette. Dazu Harissa-Paste und Mayonnaise (siehe Foto). Höchstens noch Senf, wenn überhaupt.
Das Rezept
Und was passt zu Bratwürstchen? Der Nudelsalat mit grauen Erbsen, Dosenmöhrchen, Mais und Mayonnaise aus dem Eimer? Wer Lust hat, probiert es mit einem Apfel-Zwiebel-Kompott. Gekocht habe ich es mit meinem Freund Felix Hanika im Spätsommer im Wald in Sachsen-Anhalt. Wir hatten die Wildbratwürste von Ulf (siehe Foto), Zwiebeln und ein paar Ananasrenetten. Das sind besonders aromatische kleine Äpfel, die wir vor Ort vom Baum gepflückt haben. Zwar ist jetzt noch keine Apfelzeit, aber was soll’s:
Zutaten (für 4 Personen): 2 faustgroße Gemüsezwiebeln, 100g Butter, 200g süßsaurer Apfel entsteint, Salz, Piment, Thymian, Schnittlauch.
Zubereitung: Die Zwiebeln halbieren und in feine Streifen (Julienne) schneiden. Äpfel mit Schale in 0,5cm große Würfel schneiden. Zwiebeln und die Hälfte der Apfelwürfel mit einem Zweig Thymian in Butter goldbraun anschwitzen, das kann 10 Minuten dauern. Zwei Minuten vor Ende die anderen Apfelwürfel hinzufügen. Wir wollen geschmortes und frisches im Gericht. Mit Salz und einem halben Teelöffel Piment würzen.
Wenn Ihr es so wie wir machen wollt, könnt Ihr die Bratwürstchen wie einen Scheiterhaufen auf dem Zwiebelkompott auftürmen und ordentlich gehackten Schnittlauch drüberstreuen. Dazu passen eine Scheibe geröstetes Brot oder Baguette und natürlich ein guter Klecks Senf.
In den kommenden Wochen möchte ich ein Metzger-Spezial machen. Dabei bin ich auf Eure Hilfe angewiesen: Welches sind Eurer Meinung nach die besten Fleischer der Stadt und wofür sind sie bekannt?
Wenn Ihr Tipps und Anregungen habt, meldet Euch immer gerne direkt bei mir: jesko@vielbutter.de
Liebe Grüße und bis nächsten Donnerstag,
Euer Jesko
Fotos: Marcus Glahn, Florian Kroll, Jesko zu Dohna, Albrecht von Alvensleben, Alexander Fritzemeyer
https://www.nytimes.com/athletic/5569570/2024/06/18/euro-2024-germany-england-fans-gelsenkirchen-trains/
https://www.handelsblatt.com/politik/international/frankreich-die-heimliche-fast-food-nation-europas/29325374.html