#11 Ein Würstelstand in Salzburg
Ein Würstel mit Senf ist der absolute Hochgenuss. Leider muss man dafür die deutsche Hauptstadt verlassen
Liebe Freunde!
Über die Imbiss-Hauptstadt Berlin haben wir uns hier schon ein paar Mal ausgetauscht. Wer von Euch seit Tag 1 von „Viel Butter, viel lecker” dabei ist, kennt meine etwas skeptische Einstellung gegenüber diesem kulinarischen Panorama. Kurz nochmal zusammengefasst: Berlin verfügt über tolle türkische und arabische Imbisse. Vom unglaublich guten Köfte-Sandwich über den Döner am Kotti bis zum Lahmachun mit Zwiebeln, Petersilie, Sumach und Zitrone für einen Euro auf der Prinzenallee im Wedding.
Viele Amerikaner denken ja, dass alle Deutschen in Lederhose, Dirndl und einem Trachtenhut herumlaufen und eigentlich nur Bratwurst essen. Im Wurstkuchl in Regensburg, beim Bratwurst-Drive-In in Magdala bei Weimar oder auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt werden viele dieser Vorurteile bestätigt. Zumindest gibt es dort teilweise ziemlich gute Würstel.
Berlin ist allerdings eine Würstel-Hölle. Hier gibt es traditionell billigste, vorgebrühte, helle Würstchen (manchmal sogar ohne Darm), die in einer Wanne voll altem, braunem Fett frittiert, um dann mit süßem Curryketchup übergossen zu werden. Komischerweise ist dieses Gericht das zweitliebste Schnellgericht der Deutschen. Nach dem Döner versteht sich.1 Generell gilt: Egal, wie gut Senf oder Soße sind, eine schlechte Wurst wird man immer herausschmecken.
Österreich: pervers aber lebensfroh
Ich finde das jedenfalls alles ziemlich peinlich. Vor allem jetzt, wo die ganze Welt eh schon über unseren zehnten Platz im Medaillenspiegel bei Olympia2 und unsere marode Wirtschaft lacht. Ein Blick ins Ausland, genauer gesagt nach Österreich, bringt mal wieder die Erleuchtung. Dass in katholischen Regionen besser gegessen wird als in calvinistisch geprägten, wie der Mark Brandenburg, ist bekannt. Die Österreicher sind zwar ein bisschen perverser als die Deutschen, aber dafür eben oft auch kleine Genießer.
Kulinarisch gelten für Wien, Linz oder Salzburg jedenfalls umgekehrte Vorzeichen als für Berlin. Denn hier sollte man sich hüten einen Döner oder einen Dürüm zu bestellen. Stattdessen sind die vielen legendären Würstelstände für (betrunkene) Genießer wie mich ein Himmel auf Erden. Entwickelt hat sich die Kultur der zunächst fahrbaren Stände Ende des 19. Jahrhunderts im Habsburger Reich. Einbeinige Kriegsinvaliden sollten lieber Würstel und Bier verkaufen, als hart zu schuften oder als Tachinierer auf der Straße zu landen.3
Als soziales Projekt gestartet, gehört der Würstelstand heute zur österreichischen DNA wie Mozart, Sissi oder Josef Fritzl. Meinen ersten Besuch eines Nachtwürtelstandes am Schwedenplatz in Wien werde ich jedenfalls nie vergessen. Beim ersten Bissen in einen Käsekrainer spritzte mir das heiße Fett geradewegs in mein linkes Auge.
UNESCO-Welterbe Würstelstand
Pferdeleberkäs, feuerrote Debrecziner, Frankfurter oder scharfe Burenwurst mit scharfem Senf und dazu eine Dose Zipfer Märzen. Jedes Mal, wenn ich in Österreich bin, denke ich mir: Warum gibt es so etwas einfaches und wunderbares nicht auch in Berlin? Das Einzige, was man braucht, sind gute Würstel, alte Semmeln, ein paar eingelegte Gurken oder Pfefferoni, Senf und einen Kühlschrank voll mit Bier. Mein absoluter Liebling ist übrigens die stark geräucherte Waldviertler Wurst (siehe oben) mit süßem Senf und Kren.
Wer sich noch tiefer mit der gesellschaftlichen Relevanz des bald UNESCO-Weltkulturerbes Würstelstand4 und dem (etwas grindigen) Wien der 1990er Jahre beschäftigen möchte, dem seien die Alltagsgeschichten der ORF-Journalistin Elisabeth Spira5 (hier oben und auf YouTube) unbedingt ans Herz gelegt. Eigentlich sind ihre Dokumentarfilme – unter anderem über den Würstelstand, das Arbeiterviertel Kaisermühlen, die Wiener U-Bahn oder die Donauinsulaner – das journalistisch wohl wertvollste und relevanteste, was im deutschsprachigen Raum je entstanden ist. Unbedingt anschauen!